C. Berkvens-Stevelinck u.a. (Hrsg.): Les grands intermédiaires culturels

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Titel
Les grands intermédiaires culturels de la République des Lettres. Études de réseaux de correspondances du XVIe au XVIIIe siècle


Herausgeber
Berkvens-Stevelinck, Christine; Bots, Hans; Häseler, Jens
Erschienen
Paris 2005: Honoré Champion
Anzahl Seiten
464 p.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Martin Stuber, Forschungsprojekt Ökonomische Gesellschaft Bern, Historisches Institut, Universität Bern

Als sich der 25-jährige Gottfried Wilhelm Leibniz im April 1671 dem kaiserlichen Bibliothekar Peter Lambeck brieflich vorstellte, hob er unter seinen Kenntnissen und Fähigkeiten besonders seinen Briefwechsel mit Gelehrten in ganz Europa hervor. Der junge Mann wusste genau, was er tat. Gelehrter war in der Frühen Neuzeit nur, wer ein Korrespondenznetz unterhielt. Nur damit gelang es, sich in der (internationalen) Forschungslandschaft auf dem Laufenden zu halten, sich in die aktuellen Diskussionen einzuschalten und sich die neue Fachliteratur zu beschaffen. Ohne Briefe konnte man allenfalls ein beobachtendes, nicht aber ein aktives Mitglied der Gelehrtenrepublik sein. Und letzteres war Leibniz eben bereits 1671, indem er sich allein in diesem Jahr mit 50 Korrespondenten austauschte, die vor allem aus den deutschen Territorien, aber auch aus Frankreich, Holland, Italien, England, Polen und der Schweiz stammten. Dies war aber erst der Anfang eines umfassenden Korrespondenznetzes, das mit rund 1100 Korrespondenten und weit über 15 000 überlieferten Briefen unter die grössten der Frühen Neuzeit überhaupt zu zählen ist.

Das Korrespondenznetz von Leibniz ist eines von insgesamt 14 Netzen des 16., 17. und 18. Jahrhunderts, die im vorliegenden Sammelband unter dem Aspekt der kulturellen Vermittlung analysiert werden. Namentlich erhalten die folgenden Vermittlerfiguren je eine Einzelstudie: Erasmus (C. L. Heesakkers), die Gebrüder Pierre und Jacques Dupuy (J. Delatour), Nicolas-Claude Fabri de Peiresc (P. N. Miller), Hugo Grotius (H. Nellen), Marin Mersenne (H. Bots), Henry Oldenburg (J.-P. Vittu), Christiaan Huygens (E. van Meerkerk), Otto Mencke (H. Laeven), Gottfried Wilhelm Leibniz (N. Gädeke), Pierre Bayle (A. McKenna), Jean-Paul Bignon (F. Bléchet), Prosper Marchand (C. Berkvens-Stevelinck), Johann Christoph Gottsched (D. Döring), Jean-Henri-Samuel Formey (J. Häseler). Das Werk ist das Resultat eines internationalen Projekts, das durch die drei Herausgeber getragen und als Kooperationsvorhaben mit DFG-Unterstützung am Forschungszentrum Europäische Aufklärung (Potsdam) und am Pierre-Bayle-Institut der Universität Nimwegen angesiedelt war.

Zu Fragestellung und Positionierung des verfolgten Forschungsansatzes gibt eine (knappe) zweiteilige Einleitung Auskunft. Hans Bots zeichnet in seinem Teil das allgemeine Bild einer idealen Gemeinschaft der Gelehrten, das sich im wesentlichen auf sein 1997 zusammen mit Françoise Waquet veröffentlichtes Standardwerk1 stützt: In der Gelehrtenrepublik wurde der Adel des Bluts abgelöst durch den Adel der Gelehrsamkeit; alle, die sich dem Kult der Wissenschaften verschrieben, konnten daran teilhaben und besassen das Recht auf Bürgerschaft; gemeinsamer Antrieb war, die neuen Erkenntnisse zu teilen, sich gegenseitig zu öffnen und dabei die räumlichen, sozialen und konfessionellen Grenzen zu überschreiten. Spezifischere Äusserungen zur Konzeption des Sammelbands finden sich im Teil von Christiane Bekvens-Stevelinck. Für das Ancien Régime wird der kulturelle Vermittler als ein Mitglied der Gelehrtenrepublik definiert, der sich selber als Bindeglied zwischen unterschiedlichen kulturellen Einheiten sah, seien dies Nationen, Sprachen, Milieus, konfessionelle oder philosophische Räume. Der Transfervorgang konnte verschiedene Formen annehmen: der Vermittler übersetzte Texte, versandte und empfing Bücher sowie andere Objekte, versorgte seine Zeitschrift mit auswärtigen Informationen, brachte Autoren in Kontakt mit Herausgebern und Buchverlegern, koordinierte Arbeiten an einem Kabinett oder an einer Akademie. Weil dabei das Prinzip des do ut des oberstes Gesetz war, geschah der Transfer selten nur in einer Richtung, sondern war i.d.R. wechselseitig. Privilegierter Ort des Austauschs war neben dem mündlichen Gespräch die Korrespondenz, dessen sich die Protagonisten der Gelehrtenrepublik durchaus bewusst waren.

Die französisch, englisch oder deutsch verfassten Einzelstudien sind alle nach einem einheitlichen Schema aufgebaut. Nach der Kurzbiographie folgen Überlieferung und Aufarbeitungstand des Briefwechsels, wobei die Archivstandorte und die Briefeditionen detailliert aufgeführt werden. Während für die einen die definitive Gesamtedition schon existiert (Erasmus, Mersenne) oder entsprechende Editionsprojekte seit längerem am Laufen sind (Gottsched, Leibniz), bestehen für andere erst ältere Teileditionen (Peiresc) oder fehlen Editionen ganz (Dupuy). Bei verschiedenen Korrespondenznetzen ist nur ein kleiner Bruchteil der einst vorhandenen Briefe überliefert (Marchand, Mencke). Typischerweise sind die vom Hauptkorrespondenten verfassten, ausgehenden Briefe in einem sehr viel geringeren Ausmass überliefert als die eintreffenden, die von diesem sorgfältig aufbewahrt wurden. In Einzelfällen lässt sich dies kompensieren, wenn die ausgehenden Briefe abgeschrieben oder mindestens in ihren Eckdaten verzeichnet wurden (Peiresc). Methodisch aufwendig können zudem physisch nicht mehr vorhandene Briefe aus Angaben in anderen Briefen rekonstruiert werden (Bayle).

Ein Zentrum der Einzelbeiträge bilden Dynamik und Entwicklung des Korrespondenznetzes. Ausgangspunkt ist die in der Einleitung formulierte Vorstellung, dass ein solches Netz die Eigenschaften eines Organismus aufweist, der geboren wird, wächst, sich zurückbildet und stirbt. Eine wichtige Rolle kann dabei den räumlichen Veränderungen des Hauptkorrespondenten zukommen. Nicht selten legten die persönlichen Kontakte bei Ausbildung- und Studienreisen den Grundstein ihres internationalen Netzes (Leibniz, Mencke, Oldenburg), und bei nicht wenigen prägte ihre Existenz im Exil die räumliche Ausprägung ihres Briefwechsels (Bayle, Grotius, Marchand). Eine unvoreingenommene räumliche Betrachtung relativiert die gängige Vorstellung, die gelehrten Netze hätten nur aus Verbindungen über weite Distanzen zwischen «grossen» Männern bestanden; festzustellen sind vielmehr zahlreiche lokale und regionale Briefwechsel mit «kleinen» Figuren (Peiresc). In den meisten Beiträgen geschieht die räumliche Analyse auf der Basis von exakten Briefzahlen pro Absendeort. Diesem hohen Niveau bei der Datenerhebung entspricht aber die uneinheitliche und häufig schlecht lesbare kartographische Umsetzung nur mit Abstrichen. Eine ähnliche Heterogenität ist bei der Analyse der sozialen Struktur der Korrespondenten festzustellen. Während die einen nur sehr pauschal und ohne quantitative Angaben auf die sozialen Gruppen Adel, Hoher Klerus, Gelehrte, Professoren und Verwaltungsleute verweisen (Erasmus), stellen andere quantitativ abgesicherte, detaillierte Tabellen zur Verfügung (Oldenburg).

Die Dynamik eines Korrespondenznetzes ist eng mit den sich wandelnden Inhalten verbunden. Für Erasmus wird pointiert konstatiert, die räumlichen Veränderungen seines Korrespondenznetzes seien ein Echo seiner Biographie, die Inhalte ein Echo seiner Bibliographie. In Ergänzung zur «externen» Netzanalyse von Struktur und Funktion geht es in den Beiträgen folgerichtig immer auch um die «interne» Analyse der Inhalte. Bei einigen waren die Korrespondenzinhalte eng mit der Herausgabe einer Zeitschrift verbunden (Bayle, Mencke), bei anderen ebenso eng mit ihrer leitenden Tätigkeit in einer grossen wissenschaftlichen Institution, so in der Académie des Sciences in Paris (Bignon, Huygens), der Akademie der Wissenschaften in Berlin (Leibniz, Formey) oder der Royal Society in London (Oldenburg). Aus dem Zusammenspiel von inhaltlicher und sozialer Analyse lassen sich bei mehreren Korrespondenznetzen sogenannte Subnetze erkennen, beispielsweise ein politisches, ein akademisches und eines der Buchproduktion (Bignon), ein familiäres und ein gelehrtes (Huygens), eines der Hugenotten, eines der Journalisten sowie eines der Buchhändler und Verleger (Marchand).

Diese Fülle an systematisch erhobenen und zugleich äusserst differenzierten Befunden wird leider nicht zu einer Synthese zusammengezogen. Vielmehr fordert man das Publikum explizit dazu auf, eine vergleichende Analyse, die Ähnlichkeiten, Parallelen und Unterschiede zwischen den ausgewählten Vermittlern herausarbeiten würde, selber vorzunehmen. Auch fehlt zuweilen die begriffliche Präzision, wie sie etwa das seit längerem etablierte Konzept des Kulturtransfers2 bereitstellt, auf das erstaunlicherweise nicht referenziert wird, obschon es sich bei der Vermittlerthematik aufgedrängt hätte. In seiner systematisch-ausbreitenden, aber wenig synthetisierenden Art bekommt der vorliegende Sammelband den Charakter eines Handbuchs – allerdings eines hervorragenden, das in seiner zeitlichen Reichweite, seinem europäischen Zugriff und seiner gesammelten internationalen Fachkompetenz so schnell nicht zu übertreffen sein wird.

Es mag in diesem Umfeld erlaubt sein, abschliessend nach den schweizerischen Bezügen zu fragen, auch wenn sich unter den hier präsentierten Vermittlern keine Schweizer befinden. Zum einen werden in verschiedenen Netzen schweizerische Absendeorte aufgeführt, namentlich Genf, Neuenburg, Zürich und vor allem Basel, das in einem Fall sogar häufigster Ort ist (Erasmus). Auch werden einige mit den präsentierten Netzen verbundene Schweizer Gelehrte wie Boniface Amerbach, Samuel Battier, Jakob und Johann Bernoulli, Elie Bertrand, Charles Bonnet, Jean-Pierre Crousaz, Leonhard Euler, Fortunato Bartolomeo de Felice, Albrecht von Haller und Jakob Hermann genannt. Dabei wird u.a. die klassische Vermittlerrolle der Schweiz zwischen deutschsprachigem und französischsprachigem Kulturraum hervorgehoben (helvetia mediatrix).

1 Hans Bots, Françoise Waquet, La République des Lettres. Paris 1997.
2 Siehe zusammenfassend: Hans-Jürgen Lüsebrink, «Kulturtransfer – methodisches Modell und Anwendungsperspektiven». In: Ingeborg Tömmel (Hrsg.), Europäische Integration als Prozess von Angleichung und Differenzierung. Opladen 2001, S. 213–226.

Zitierweise:
Martin Stuber: Rezension zu: Christine Berkvens-Stevelinck, Hans Bots, Jens Häseler (Hg.): Les grands intermédiaires culturels de la République des Lettres. Études de réseaux de correspondances du XVIe au XVIIIe siècle. Paris, Édition Champion, 2005 (Diffusion hors France: Édition Slatkine, Genève). Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 59 Nr. 2, 2009, S. 254-257.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 59 Nr. 2, 2009, S. 254-257.

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